Product Compliance
Ein seit ca. 2010 geprägter, neuartiger Begriff in der Wirtschaftswelt, von dem man zwar selten aber immer wieder hört.
Dabei kommt jeder Verbraucher, jeder Arbeitnehmer jeden Tag mit den Auswirkungen erfüllter oder eben nicht-erfüllter Product Compliance in Berührung. Dies oftmals ohne es zu wissen! Offenkundig wird dieser Umstand meist erst dann in Form von öffentlichkeitswirksamen Rückrufen oder Produktwarnungen.
Im Folgenden soll in aller Kürze beleuchtet werden, was die Begriffsbestimmung der Product Compliance ausmacht, welches Ausmaß diese in der Praxis annehmen kann und wie man durch pro-aktives Product Compliance Management einen Wettbewerbsvorteil erlangt.
Was bedeutet Product Compliance?
Sprachliche Bedeutung
Die Wortschöpfung des Begriffes Product Compliance bedeutet nichts anderes als seine schlichte Übersetzung Produktkonformität. Anders ausgedrückt, steht Konformität für die Einhaltung sämtlicher rechtlicher (Mindest-)Vorgaben, in diesem Kontext mit Bezug auf die Vermarktung von Produkten.
Diese Anforderungen sind in EU-Richtlinien und Verordnungen sowie nationalen Rechtsakten vom Gesetzgeber oftmals sehr abstrakt definiert und niedergelegt. Deshalb werden sie von technischen Normen für konkrete Warengruppen oder gar für einzelne Artikel spezifiziert. Somit sorgen diese allgemein anerkannten Regeln der Technik (z.B. eine DIN-Norm oder harmonisierte EN-Norm) für einen hohen Grad an Harmonisierung. Dies führt gelegentlich zu einer sogenannten Konformitätsvermutung, das heißt, die Einhaltung der technischen Normen kann dazu beitragen ein Produkt als konform mit den rechtlichen Bestimmungen einzuschätzen. Technischen Normen gemein ist dabei, die allgemein hohe Anerkennung sowie die praktische Bewährung.
Daneben werden in rechtlichen Normen häufig chemische Limits konkretisiert oder formale Kennzeichnungsanforderungen vorgegeben.
Historischer Ausgangspunkt
Die Notwendigkeit für einheitliche Maße und Gewichte gehen weit in die Antike zurück. Sie mündeten in Europa im heute hier bekannten metrischen System. Dies wurde 1791 festgelegt
Mit der zunehmenden Industrialisierung in Europa und Globalisierung des Welthandels nahm die Bedeutung für einheitliche Systeme weiter zu und führte schließlich zu einem der größten gemeinsamen Wirtschaftsräume der Erde. Die Europäische Union (EU), ein Staatenverbund aus 27 europäischen Ländern, hat insgesamt etwa 450 Millionen Einwohner und das global stärkste Bruttoinlandsprodukt. Das macht die EU zu einem weltweit beliebten Handelspartner.
Das ist ebenfalls an den Bemühungen zu internationalen Handelsabkommen abzulesen, deren nicht unwesentlicher Teil auch Regeln der jeweiligen Product Compliance beinhaltet.
Aktuelle Bedeutung
Die Nützlichkeit der Regelungen zur Product Compliance in geschlossenen Wirtschaftsmärkten kann in ihrer Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Dies ist auch im harmonisierten Warenmarkt der Europäischen Union (EU) der Fall. Hier ist Product Compliance sowie deren Kontrolle durch die Marktüberwachung zu einer zentralen Säule der EU avanciert. Neben der Freizügigkeit der EU-Bürger, die z.B. das Schengener Abkommen von 1985 garantiert, sehen Artikel 26 sowie Artikel 28 bis 37 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) weitreichende Bestimmungen zur Warenverkehrsfreiheit vor.
Durch die Verabschiedung des neuen Rechtsrahmens (engl. New Legislative Framework – NLF) im Jahr 2008 wurden der freie Warenverkehr, das Marktüberwachungssystem der EU und die CE-Kennzeichnung wesentlich gestärkt. Der NLF ist dabei keineswegs statisch, sondern wird nach wissenschaftlichen Erkenntnissen regelmäßig novelliert. So trat am 16.07.2021 die neue europäische Marktaufsichtsverordnung (EU) 2019/1020 in allen Teilen in Kraft und harmonisiert das bestehende System für weit über 70 weitere Rechtsakte. Ein Vorschlag für eine neue Verordnung über die Generelle Produktsicherheit ist derzeit in Arbeit und wird den NLF für alle bis dato nicht europarechtlich harmonisierten Produkte abrunden.
Durch diese konsequente Harmonisierung werden Handelshemmnisse innerhalb des EU-Marktes abgebaut. Ferner wird eine standardisierte Produkt Compliance auf gleichem Niveau für nahezu jeden Artikel gefordert, kontrolliert und im Zweifel Produktkonformität behördlich auch durchgesetzt. Infolgedessen kommen alle EU-Bürger in den Genuss der Vorteile eines gemeinsamen, funktionierenden Binnenmarktes. Dies sind vor allem günstigere, sicherere und überall gleichsam einsetzbare, marktfähige Produkte.
Was beinhaltet Product Compliance?
Dass dieser Begriff weit mehr umfasst, als seine bloße Übersetzung, wird im folgenden Teil dargelegt.
Die Product Compliance hat zum Ziel, produktverantwortlichen Unternehmen rechtliche Unklarheiten und Friktionen in Bezug auf nationale oder internationale Produktanforderungen zu ersparen. Gleichzeitig sichern Unternehmensmitarbeiter, in ihrer Rolle als Product Compliance Specialist, die Einhaltung eines oft vielfältig zusammengesetzten Pflichtenkataloges, den die objektive Rechtsordnung für die einzelnen Wirtschaftsakteure bereithält. Hierbei treffen in der branchenspezifischen Compliance Praxis rechtliche Anforderungen mit chemischen und technischen Rahmenbedingungen zusammen.
Im medizinischen (Medizinprodukte) und pharmazeutischen (Arzneimittel) Bereich hatte sich bereits zuvor der Begriff „Regulatory Affairs“ etabliert. Es handelt sich also um eine Stelle im Unternehmen, die sich just Angelegenheiten regulatorischer Natur kümmert.
Hierbei sind sowohl sämtliche öffentliche-rechtliche Produktrechtsvorschriften (Ordnungsrecht), als auch das Zivilrecht (Produkt- und Produzentenhaftung) berührt. Product Compliance überschneidet sich dabei in der Ausübung oftmals mit internen Qualitätsvorgaben oder ist Teil von Qualitätsmanagementsystemen. Sie geht dabei bisweilen über weit über den gesetzlichen Rahmen hinaus. Dabei darf nicht verkannt werden, dass Normenkonformität nicht mit Rechtskonformität gleichzusetzen ist, bloße Testreporte schon lange nicht ausreichende Produktkonformität dokumentieren. Vielmehr werden interne Entwicklungs- und Fertigungsprozesse zu etablieren, Product Content Managementsysteme (PCM) oder Produktinformationsmanagementsysteme (PIM) zu implementieren und darin u.a. digitale Attribute der Produkte zu administrieren sein.
Erste Marktaufsichtsbehörden fokussieren sich bereits auf diesen prozesstechnischen Bereich. In zunehmendem Maß sind externe Product Compliance Datenbanken und Register zu befüllen, oft vormarktgelagert (z.B. im Bereich des Öko-Design: in der EPREL-Datenbank oder im Bereich der Besonders Besorgnis erregenden Stoffe (SVHC): in der SCIP-Datenbank). Ohne digitale Daten wird Product Compliance zukünftig zum „Russisch Roulette“ für produktverantwortliche Unternehmen.
Produktbezogenes Umweltrecht
Nicht nur die menschliche Gesundheit gehört zu den schützenswerten Rechtsgütern, sondern in anwachsenden Maße auch die Umwelt. Dies findet auch immer mehr Beachtung innerrhalb der Product Compliance. Das „europäische Chemikaliengesetzbuch“ REACH Verordnung (EG) 1907/2006, die POP Verordnung (EU) 2019/1021 sowie der Rechtsrahmen der Öko-Design-Richtlinie 2009/125/EG also nur einige Beispiele von vielen in denen der Umgang mit Chemikalien oder gar die Ressource „Energie“ geregelt wird.
Erweiterte Herstellerverantwortung
Die eng mit dem produktbezogenen Umweltrecht und dem Green Deal der EU einhergehende erweiterte Herstellerverantwortung (engl.: extended producer responsibility – EPR) ist ein relativ neuartiger Teilbereich der Product Compliance. Rasch an Dynamik zunehmend „poppen“ in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten zunehmend weitere Melde- und Registrierungspflichten im europäischen Wirtschaftsraum für Produktverantwortliche auf. Beispielhaft zu nennen wären hier die drei (leider nur) im Ansatz europäisch harmonisierten Bereiche des Recyclings von Verpackungen (Richtlinie 94/62/EG), Elektroaltgeräten (Richtlinie 2021/19/EU), und Batterien (Richtlinie 2006/66/EG).
Daneben steht es den EU-Mitgliedern anheim nationale Abfall-und Materialkreislaufsysteme zu etablieren, wovon auch immer reger Gebrauch gemacht wird. Hersteller, Importeure und EU-Bevollmächtigte haben sich nach sämtlichen Maßgaben zu registrieren und Mengen an in den Verkehr gebrachter Ware innerhalb der jeweiligen Staaten peinlich genau zu melden. Herausforderung dieses speziellen Product Compliance Themas sind vor allem die national differenziert zu betrachtete Klassifizierung, Kategorisierungen und zu nutzende Meldeportale.
In zunehmendem Maße müssen sich Human Ressources Abteilungen mit Ausschreibungen zu Product Compliance Managern oder Compliance Officer beschäftigen und in der Folge fachkundige Kandidaten auswählen aber auch deren Ressource „Know-how in der Produktkonformität“ erhalten und vor allem aktuell zu halten.
Unternehmen, die sich einen eigenen Product Compliance Verantwortlichen indes nicht leisten können oder wollen, greifen zunehmend auf geeignete Product Compliance Berater zurück. Die präventive Investition in das Eruieren von einschlägigen rechtlichen und technischen Standards, sowie das praktische Testen derer Einhaltung vor Markteintritt der Produkte, sichert die Marktfähigkeit eines jeden Artikels in jeder Phase seines individuellen Produktlebens.
Dabei können nicht nur produktverantwortliche Betriebe, wie Hersteller, Importeure oder sogenannte Bevollmächtigte, neuerdings auch Marktplatzbetreiber (z.B. eBay) und Fulfillment-Dienstleister (z.B. Amazon, Otto), in den Fokus der hoheitlichen Marktüberwachung geraten. Auch Handelskonzerne bis hin zum kleinen Händler „um die Ecke“ treffen in zunehmendem Maße produktsicherheitsrechtliche Prüfpflichten.
Die Einhaltung der formalen, wie materiellen Aspekte von Product Compliance und der daraus abgeleiteten Sorgfaltspflichten treffen also jeden Wirtschaftsakteur entlang der Lieferkette (engl.: supply chain). Auch die im Volksmund bekannten „Abmahner“ kontrollieren im Rahmen des Wettbewerbsrechts Marktverhaltensregeln (wozu ein Großteil der Regeln der Product Compliance zählt) und setzen diese oftmals streitbar, indes oft effektiv vor Zivilgerichten durch.
Unternehmen mit Produktverantwortung sollten ihre (Werbe-)Versprechen ernst nehmen und sämtliche legislativen Mindestvorgaben lückenlos einhalten. Andernfalls drohen einschränkende Maßnahmen im Warenvertrieb bis hin zur Vernichtung, reputationsschädigende Publicity (z.B. Shitstorms im Bereich Social Media; Eintrag in das wöchentlich aktualisierte RAPEX-System – Rapid Exchange of Information System oder kurz: Safety Gate) sowie Sanktionen des Strafrechts in Form von Geld- oder gar Haftstrafen für Verantwortliche.
Sebastian Jockusch
Die Beachtung und die Einhaltung der Regeln zur Produktkonformität betreffen viele Akteure entlang der Lieferkette und spätestens nach dem Inverkehrbringen, also der ersten Bereitstellung des Artikels am Markt jedes Individuum – jeden Tag! Nur seriöse, das heißt sich in Ihrer Verantwortung bewusste Unternehmen haben die Chance sich dauerhaft am Binnenmarkt der EU zu etablieren und zu wachsen. Hingegen werden fehlerbehaftete Produkte und im schlimmsten Fall mit ihnen, auch ihre Product Owner vom Markt genommen.