Ist dies das “Aus“ für Medizinprodukte?
Das über Jahrzehnte bewährte System der Mutual Recognition Agreements (MRA – dt. Vereinbarungen über die gegenseitige Anerkennung), zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft (CH) einerseits und der Europäischen Union (EU) andererseits, ist ins Schwanken geraten!
Was ist passiert?
Im Zuge der Novellierung, trat die neue Medizinprodukteverordnung (EU) 2017/745 (MDR in ihrer konsolidierten Fassung) am 26.05.2021 in der EU in Kraft und ersetzt die bisherigen Medizinprodukte-Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG. Dieser Schritt hat zur Folge, dass ohne Aktualisierung und Anpassung des Kapitels Medizinprodukte des MRA auf den neuen Rechtsrahmen, selbiges seine Gültigkeit verloren hat.
Just am 26.05.2021 veröffentlichte die EU-Kommission daraufhin folgendes dreiseitiges Dokument mit einem Hinweis für Stakeholder im Handel mit Medizinprodukten. Darin wird unter anderem mitgeteilt:
„The following consequences as of 26 May 2021 should therefore be noted by stakeholders:
- For all new devices, Swiss manufacturers will be treated as any other third country manufacturer intending to place their devices on the EU market. […]“
Die Essenz dieser in ihrer Form rein informellen „notice to stakeholders“ ist ihrer gravierenden Konsequenz verheerend, für die politischen Verantwortlichen und die eigentlich betroffenen Wirtschaftsakteure gleichermaßen: Die Schweiz wird im Bereich der Medizinprodukte (vorerst) aus Sicht der EU zum Drittstaat, vice versa besteht natürlich der gleichartige Effekt.
Historischer Hintergrund
Bereits am 22.07.1972 unterzeichnete die Schweiz und die damalige Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ein Freihandelsabkommen, mit den Primärziel bestehende Handelshemmnissen für Wirtschaftsprodukte, hier freilich zunächst um Zölle abzubauen. Diesem Abkommen folgten eine Reihe von weiteren bilateralen Verträgen mit der EWR-Rechtsnachfolgerin, der Europäischen Gemeinschaft (EG) und damit letztlich auch der EU. Verfolgtes vornehmliches, beidseitiges Ziel dieser ausgestaltenden „sektoriellen Abkommen“ war es, ein Abdriften der Schweiz, weg von der sich weiter entwickelnden Wirtschaft der EU, hin zu einem reinen Drittland zu verhindern. Zugleich sicherten sich die Eigenossen den Zutritt zum harmonisierten Warenmarkt der EU.
Zu nennen sind in diesem Kontext insbesondere die folgenden Akte:
- Abkommen über gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (Beseitigung technischer Handelshemmnisse) [SR 0.946.526.81]
- Abkommen über den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen [SR 0.916.026.81]
- Abkommen über die Freizügigkeit (Personenfreizügigkeit) [SR 0.142.112.681]
- Abkommen über den Landverkehr [SR 0.740.72]
- Abkommen über den Luftverkehr [SR 0.748.127.192.68]
Auswirkungen für die Praxis
Versierte Verantwortliche dürften schon lange vor dem eigentlichen Auslaufen des MRA gebannt und gespannt auf die Entwicklung der Verhandlungen geschaut und mit Entsetzen dessen Ergebnisse zur Kenntnis genommen haben. Die eigentlichen Leidtragenden dieses Showdowns dürften nämlich vor allem die betroffenen Wirtschaftsakteure und letztlich die Endanwender und Verbraucher sein.
Diese Unternehmen sehen sich nun mit einer neuen rechtlichen Sachlage konfrontiert, die einen neuen administrativen und prüftechnischen Pflichtenkreis impliziert. Die Schweiz versuchte mit der Anpassung ihres nationalen Rechts, in Form der Medizinprodukteverordnung (MepV), die Effekte einzugrenzen. Allerdings ergeben sich daraus einige Konsequenzen mit praktischer Relevanz.
Europäische Union
Für Hersteller(/Importeure aus anderen Drittstatten) mit Sitz in der EU die in die CH liefern wollen, bedeutet dies zumindest folgendes:
- Bestellung eines Schweizer Bevollmächtigten (CH-REP) i.S.d. Art. 51 Abs. 1 MepV
abgestufte Fristen, je nach (Risiko)Klassifizierung des jeweiligen Medizinproduktes
- Übergangsfristen bis
- 31.12.2021 für Klasse III, IIb ((aktive) implantierbar)
- 31.03.2022 für Klasse IIa, IIb (nicht implantierbar)
- 31.07.2022 für Klasse I
- (gebührenpflichtige) Registrierung bei der für Arzneimittel und Medizinprodukten zuständigen Behörde – dem Schweizeririschen Heilmittelinstitut Swissmedic
- Nutzung einer eindeutigen Schweizer Registrierungsnummer (CHRN – Swiss Single Registration Number) gemäß Art. 55 Abs. 1 MepV
- Benennung einer internen „für die Einhaltung der (Schweizer) Vorschriften verantwortlichen Person“ (PRRC)
Schweiz
Für Hersteller mit Sitz in der CH die in die EU liefern wollen, hat dies indes die folgenden Auswirkungen:
- Bestellung eines EU-Bevollmächtigten (EU-REP) i.S.d. Art. 11 MDR (EU) 2017/745
Achtung! Es gibt keine abgestuften Fristen, d.h. die Bestellung muss vor dem Inverkehrbringen erfolgen.
Verwendung einer eindeutigen Produktidentifikation (UDI)
Registrierungs- und Zulassungverfahren via EUDAMED bzw. national (DE: DMIDS) zur Erlangung einer Single Registration Number (SRN) der EU
- Benennung einer internen Fachkundigen Person Art. 15 MDR (EU) 2017/745
Dass die individuellen Medizinprodukte natürlich jeweils mit den (vollständigen) Angaben entsprechenden Bevollmächtigten für den jeweiligen Zielmarkt zu kennzeichnen sind, dürfte an dieser Stelle selbstredend sein. Beide Rechtsordnungen halten hierfür die entsprechenden Piktogrammen und Guidelines bereit.
Beidseitiger Warenvertrieb vorausgesetzt, deutlich belastender dürften, neben dem bereits dargestellten, doppelten administrativem Aufwand, die vom 26.05.2021 an erforderlichen beiderseitigen Produktprüfungen sein.
Konsequenzen
Ob dies die Warenversorgung sowie die Endanwender- / Verbraucherpreise tangiert dürfte bleibt abzuwarten. Es wird allerdings auch praktisch zu befürchten sein.
Ebenso bleibt abzuwarten, ob und wann die Bestrebungen die Wiederbelebung dieses MRA zum Erfolg und damit zur Wiederherstellung eines gemeinsamen harmonisierten Marktes führen wird. Tatsächlich könnte hiermit auch ein Präzedenzfall für andere Produktbereiche geschaffen worden sein, in dem sich die CH dem (vor allem wirtschaftlichen) Druck der EU nicht gebeugt hat.