Registrierung, Notifikation oder bloße Information?
Und was ist mit SCIP?
Dieses Jahr jährt sich die Veröffentlichung der REACH-Verordnung (EG) 1907/2006 zum 15. Mal, denn der Rechtsakt wurde in seiner ursprünglichen Fassung am 18.12.2006 bekannt gemacht. Wie aus seiner aktuell konsolidierten Fassung vom 05.07.2021 ersichtlich, hat sich diese Verordnung, wie kaum eine andere europäische Rechtsvorschrift, in ihrem Regelungsumfang und in ihrer Regelungstiefe über die Jahre dergestalt massiv verändert. Nicht weniger als 63 (!!!) Änderungs-Verordnungen, dazu 19 Corrigenda, haben das Erscheinungsbild dieses “europäischen Chemikaliengesetzbuches“ maßgeblich gewandelt. Dieser Umstand, der den Erkenntnissen aus Wissenschaft und Technik Rechnung trägt, stellt nicht nur den #EU-eigenen Übersetzungsservice der EU-Kommission vor wiederkehrende Herausforderungen, sondern ist auch für #productcompliance Verantwortliche in nahezu allen non-food Bereichen von erheblicher Bedeutung.
Gleichwohl dennoch bestehen seit Inkrafttreten am 01.06.2007 in der Praxis häufig weiterhin Unklarheiten oder zumindest Unsicherheiten über die Verpflichtungen im Bereich der Chemikalien.
„Muss ich als Händler nun Notifizieren oder Registrieren, macht das nicht der Hersteller?
Muss ein Importeur entlang der B2B Lieferkette informieren?
Hat die Gruppe der Verbraucher ein Auskunftsanspruch auf Information?“
Stellvertretend drei von zahlreichen Fragen, für die nicht zuletzt der Helpdesk der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), einer Fachbehörde, die als nationaler Kontaktpunkt für Deutschland fungiert, für die Bereiche „reach-clp-biozide“ reichlich Antworten und aktualisierte Broschüren bereithält.
Nebst einschlägigen Verlinkungen, soll dieser Artikel dem interessierten Leser etwas mehr Klarheit im Schlaglicht maßgeblicher Begriffe und Prozesse verschaffen. Zugleich wird dargestellt, zu welchem Zweck die REACH-Verordnung, nämlich die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe erlassen wurde.
Grundprinzip
Unter dem Regelungsregime der REACH-Verordnung gilt allen voran der allgemeine Grundsatz „no data, no market“, was schlicht nicht viel weniger bedeutet, als dass die Herstellung oder das Inverkehrbringen solcher Stoffe innerhalb des harmonisierten Warenmarktes der #EU nur dann erlaubt ist, wenn sie zuvor bei der zuständigen Europäischen Chemikalien Agentur (ECHA) registriert wurden. Hierbei sind allerdings Tonnage- bzw. Mengenbänder mit ihrer Bagatellgrenze (kumuliert per individuellem Stoff >1 Tonne pro Jahr + per Hersteller oder Einführer) und ggf. weitere Sonderbedingungen zu beachten.
Unter dem Regelungsregime der REACH-Verordnung gilt allen voran der allgemeine Grundsatz „no data, no market“, waVom Regelungsumfang der Verordnung erfasst sind dabei alle chemischen (Rein)Stoffe als solche, Stoffe in Gemischen oder in Erzeugnissen. Dabei ist es indes trivial, ob diese, zumeist anhand ihrer CAS-Nr. (engl.: Chemical Abstract Service Registry Number) konkret identifizierbaren Stoffe, gefährliche Eigenschaften aufweisen oder nicht (CLP-Verordnung (EG) 1272/2008). Natürlich vorkommende Stoffe (Wasser, Sauerstoff, Stickstoff, usw.) sowie alle Stoffe, die unter den Anhang V der REACH Verordnung fallen, sind hingegen von der Pflicht zur Registrierung weitestgehend ausgenommen.
Legaldefinitionen
Maßgebliche Begrifflichkeiten werden unter REACH im Kapitel 2 legal definiert:
Stoff (Artikel 3 Nr. 1): „chemisches Element und seine Verbindungen in natürlicher Form oder gewonnen durch ein Herstellungsverfahren, einschließlich der zur Wahrung seiner Stabilität notwendigen Zusatzstoffe und der durch das angewandte Verfahren bedingten Verunreinigungen, aber mit Ausnahme von Lösungsmitteln, die von dem Stoff ohne Beeinträchtigung seiner Stabilität und ohne Änderung seiner Zusammensetzung abgetrennt werden können“
Gemisch (Artikel 3 Nr. 2): „Gemenge, Gemische oder Lösungen, die aus zwei oder mehr Stoffen bestehen“
Erzeugnis (Artikel 3 Nr. 3): „Gegenstand, der bei der Herstellung eine spezifische Form, Oberfläche oder Gestalt erhält, die in größerem Maße als die chemische Zusammensetzung seine Funktion bestimmt“
Inverkehrbringen (Artikel 3 Nr. 12): „entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe an Dritte oder Bereitstellung für Dritte. Die Einfuhr gilt als Inverkehrbringen.“
Schon an dieser Stelle wird ersichtlich, dass die Legaldefinition des Begriffs des Inverkehrbringens unter REACH deutlich über vergleichbare Regelungen in anderen Produktrechtsvorschriften hinausgeht. Das Inverkehrbringen umfasst dabei jedwede Abgabe und auch die Bereitstellung (immer wieder – im Handel). Diese Inkonsistenz entspricht nicht nur nicht den Vorgaben des New Legislative Framework (NLF) in Gestalt der Verordnungen (EG) 765/2008 und (EU) 2019/1020 (die REACH-, wie auch die CLP-Verordnung (siehe dazu auch Eintrag in ECHA Q&A) als lex specialis, wurden in diesem Punkt leider noch nicht an den Rechtsrahmen angepasst), sondern verursacht folglich auch Unverständnis und bisweilen teils erhebliche Probleme mit Marktaufsichtsbehörden in der Praxis.
EuGH-Urteil aus 2015
Für weitere Umsetzungsprobleme bei den Rechtsadressaten sorgte das EuGH Urteil C-106/2014 vom 10.09.2015 mit dem darin postulierten Grundsatz “once an article, always an article“. Dies bedeutet kurz zusammengefasst, dass jeder einzelner Bestandteil oder jedes einzelne Bauteil, welches selbst unter die Begriffsdefinition des Erzeugnis (engl.: article) fällt, als solches in einem komplexeren Erzeugnis zu sehen ist. Konsequenz daraus ist, dass selbst kleinste Bauteile, wie z.B. Transistoren auf Leiterplatten oder Knöpfe an Textilien, eigenständige Erzeugnisse sind und mithin als solche chemikalienrechtlich zu behandeln sind.
SVHC
Dies kommt insbesondere bei der Anwendung der Anhänge XIV (sogen. Kandidaten- oder SVHC-Liste) sowie XVII (sogen. Liste stofflicher Beschränkungen) der REACH-Verordnung zum Tragen. Dort muss sich jedes Erzeugnis an den EU-weit rechtlich verbindlichen Vorgaben messen lassen. Beinhaltet ein Erzeugnis z.B. einen oder mehrere der dort gelistete derzeit (Stand 08.07.2021: 219 SVHC (engl.: substance of very high concern – besonders besorgniserregende Stoffe) mit einem Gehalt an >0,1% (w/w) oder umgerechnet 1000 ppm, kann das Produkt berechtigterweise in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Diesen bedenklichen Stoffen ist gemein, dass sie entweder krebserzeugend; erbgutverändernd; fortpflanzungsschädigend; persistent, bioakkumulierbar, toxisch (PBT); sehr persistent, sehr bioakkumulierbar (vPvB) sind und/oder über vergleichbare besorgniserregende Eigenschaften (z.B. endokrin-schädigend) verfügen. Im schlimmsten Falle beinhalten sie mehrere dieser Eigenschaften, die man seinen Kunden bzw. der Natur eigentlich nicht zumuten sollte. Ausweislich des Artikel 1 (1) ist der Schutzzweck der REACH-Verordnung nicht nur der menschliche Gesundheitsschutz, sondern eben auch ein Schutzniveau für die Umwelt sicherzustellen.
Information
Verbraucher(organisationen) oder auch Abmahner können das Vorhandensein dieser SVHC im Rahmen des Artikels 33 (2) effektiv abfragen. Es sollte aber ohnehin kein Geheimnis sein, denn die Wirtschaftsakteure sind nach Artikel 33 (1) sowieso verpflichtet, sich hierüber entlang der Lieferkette aktiv zu informieren.
Notifizierung
Ferner sind SVHC Tonnagen bei Stoffen/Erzeugnissen >0,1% (w/w) und >1 Tonne pro Jahr (gesamtes eigenes Sortiment) nach Artikel 7 (2) an die ECHA zu notifizieren.
SCIP Datenbank
Hinzu tritt seit dem 05.01.2021 die Verpflichtungen aus dem Kreislaufwirtschaftsrecht, konkret der Abfallrahmenrichtlinie (WFD) 2008/98/EG inkl. Änderungsrichtlinie 2018/851/EU die SVHC haltigen Erzeugnisse in der neuen SCIP Datenbank der ECHA zu melden. Dazu sind Produktidentifikatoren, Zollcode und einiges mehr zu anzugeben. Bei komplexen Erzeugnissen, z.B. einer Waschmaschine, welche wiederum viele kleine Erzeugnisse („once an article, always an article“), wie Knöpfe, Schalter, Tür, Dichtgummis, Füße, Platinen, Bauelemente usw. enthält, ist dies ein bisweilen mühsames Unterfangen. Das ist mit Sicherheit einen gesonderten Fachbeitrag wert. Umgesetzt wurde die Richtlinie in Deutschland allerdings im fachfremden Chemikalienrecht und ist weiterhin in der administrativen Abfragetiefe europaweit sehr umstritten.
RAPEX
Aber es droht auch anderes Ungemach für den Warenvertrieb! Werden z.B. die Limits des Anhangs XVII “gerissen“, ist der Stoffe, dass Gemisch bzw. das Erzeugnis (Produkt) schlicht nicht verkehrsfähig und wird unweigerlich seinen Eintrag in die gefürchtete RAPEX-Liste (neu: safety gate – the EU rapid alert system for dangerous non-food products) finden. Dies ist sozusagen eine EU-weite, weltweit einsehbare digitale Version eines mittelalterlichen Prangers.
Allein schon deshalb sei jedem im Produktrecht tätigen Wirtschaftsakteur höchst anzuraten, besonderes Augenmerk in den Bereich des Legal Monitorings zu legen und die Entwicklungen / Ergänzungen der beiden Listen für seine Produkte zu beobachten.
Auch die nicht zu unterschätzenden, komplexen rechtlichen Abgrenzungsfragen von Erzeugnissen zu Stoffen oder Gemischen führen für Außenstehenden immer wieder zu höchst kurios anmutenden Entscheidungen. Eine Kerze ist z.B. als Stoff bzw. Gemisch einzustufen, da ihre chemische Zusammensetzung entscheidender ist als ihre Form. Gleiches gilt für Knicklichter, Schweißdrähte, Magnete uvm.
Registrierung
Zurück zu den Pflichten! Wie bereits dargestellt, wer als Hersteller oder Importeur, für die Menge >1 Tonne pro Jahr gewichtet über sein gesamtes Portfolio, am Markt partizipieren möchte, muss Daten in einem Registrierungsdossier bereitstellen und diese Informationen übermitteln. Registrierungen werden nach Artikel 7 (1) pro Stoff vorgenommen. Dies hat häufig zur Folge, dass Hersteller und Importeure des konkreten Stoffes gemeinsam registrieren (müssen). Dies kann optimal über das bewährte SIEF Format (engl.: (Substance Information Exchange Forum – Forum zum Austausch von Stoffinformationen) organisiert werden. Ein „Letter of Access“, der im Zweifel mit Konsortien, die bestehende Registrierungen administrieren, kostenpflichtig abzuschließen ist, hilft hier weiter – kann aber je nach Stoff bis zu sechstellige Eurosummen aufrufen. Die Q&A zu Registrierungen der ECHA helfen auch an dieser Stelle weiter, wobei bei einem konkreten Registrierungs-Prozess die Hinzuziehung es Fachexperten dringend anzuraten ist.
rechtliche Konsequenzen
Dass das Einbeziehen von fachlich versierten Berater, ist je nachdem an welcher Stelle sie involviert werden, vormarktgelagert oder gar bei Problemen der Produkte im Markt sehr sinnvoll ist, zeigen auch die teils erheblichen praktischen und rechtlichen Konsequenzen.
Hier reicht der bunte Strauß der behördlichen Maßnahmen
- vom Warenvertriebsverbot,
- der Rücknahme (aus dem Handel)
- dem Rückruf (vom Endverbraucher),
- der öffentlichen Warnung
- dem RAPEX-Eintrag
- Sanktionen strafrechtlicher Natur, wie Geld- oder gar Haftstrafen.
Dies kann im für Deutschland örtlich geltenden ChemG und der zugeordneten ChemSanktionsV nachgelesen werden.
So kann bereits ein simpler Polybag, als Hülle um den eigentlichen Artikel, der Grillhandschuh aus Leder, der Schmuck um Handgelenk oder im Ohr, die AZO-belastete Bettwäsche, zum robusten Problem im Retailbereich werden oder der Zoll mit XRF-Scannern die Einfuhr von schwermetallhaltigen Kunststoffen gänzlich verhindern. Diese und weitere Fälle sind in der wöchentlich (freitags) publizierten RAPEX Liste zu eruieren.
Die fox compliance GmbH unterstützt Sie gern, auch bei der Vermittlung von Experten für die REACH Registrierung, in Bezug auf die CLP-Kennzeichnung und Sicherheitsdatenblatterstellung. Aber auch auch bei der Auswahl von exzellenten Fachanwälten bei drohenden oder bereits realisierten Problemen können wir Support geben.